Der Geist von Pädu Anliker, Master of Ceremonies (MC) wird weiter leben

30 Jahre Café Bar Mokka. Thunpreis-Verleihung in wenigen Tagen. Der Tod hätte sich MC Pädu Anliker zu keinem unpassenderen Zeitpunkt holen können. So wird nun die Verleihung des Thunpreises zur Beerdigung, Abdankung und posthum-Würdigung seines Wirkens. Selbst die Monty-Python-Truppe, Meister des schwarzen Humors britischer Prägung, würden vor diesem dramatischen Drehbuch den Hut ziehen. Aber dieser Abgang passt zum leidenschaftlichen Querkopf MC Anliker. Denn die Würdigung seines nimmermüden Wirkens auf diese Weise kann kaum mehr übertroffen werden. MC Anliker war ein Behördenschreck. Seine berüchtigten launischen Vorwörter im Mokka-Programm raubten Thuner Chef-Beamten den Schlaf und trieb drei Generationen von Gemeinderätinnen und Gemeinderäten die Zornesröte in den Kopf. Pädu war ein Linker, der Parteien und den Staat verachtete. Ein Freiheitsliebender, der allen die Freiheit liess, sich seiner Meinung anzuschliessen oder sich seinen Flüchen und seinem Spott auszusetzen. Ein Feinsinniger, der dies gegen aussen nicht allen zeigte. Ein Mensch mit Ecken und Kanten. Ein Alphatier. Ein Rebell, der kein Blatt vor den Mund nahm. Das bekamen alle zu spüren: Junge und Alte, Linke und Rechte, Musiker/innen und Gäste. Niemand anderes hat die Jugendkultur in Thun so geprägt wie MC Pädu Anliker. Als ich ihn kennenlernte, bestand das junge Mokka aus einem Kollektiv mit einer Kulturgruppe, einer Beizengruppe und einer Lismi-Gruppe. MC Pädu Anliker selbst erinnerte noch vor wenigen Tagen in seinem jüngsten Mokka-Vorwort an diese Zeit. „Di si unprofessionell”, höre ich Pädu noch heute motzen über diese Gruppen. Zu dieser Zeit waren auch noch professionelle Jugendarbeiter im Mokka angestellt. Von den „fuule Sieche”, wie er die Jugendarbeiter bezeichnete, hielt er nichts. Pädu setzte sich durch. Die basisdemokratischen Arbeitsgruppen verschwanden genauso wie die Jugendarbeiter. Und das Mokka, MC Anlikers Planet, wurde erfolgreicher denn je. Arbeitsstunden zählen war nicht MC Anlikers Sache. Für ihn zählte nur das Programm. Und das war happig. Hunderte von Bands unterschiedlichster Stilrichtungen hatten im Mokka ihre Auftritte. Manchmal vor pumpevollem Konzertsaal, so dass man sich fühlte wie in der Sardinendose. Manchmal vor leeren Rängen. Auch Aufgeben war nicht Pädus Sache. Ganz im Gegenteil sprühte er vor Energie. Seine Leidenschaft für hochstehende Kultur trieb ihn zu immer neuen Höchstleistungen. Das anerkannte auch die Politik. Zuerst der kantonale Kulturpreis. Und jetzt der Thunpreis. Bezahlt hat ihn MC Pädu Anliker mit dem Höchstpreis. Sein grosses Herz blieb plötzlich stehen. Riss ihn mitten aus dem Leben und ein grosses Loch in Thuns Seele. „Legal, illegal, scheissegal”, war ein Lebensmotto von MC Pädu Anliker. In seinem Mokka-Vorwort zum November-Programm blickte er mehr als 30 Jahre zurück: „Erste eigene Wohnung an der Aarestrasse in Thun… eine klassische Hippie-Karriere mit viel freier Zeit für das Konsumieren des Weltsortiments von Haschisch, das Mitte bis Ende Siebziger Jahre noch richtig umfangreich war. Wer kennt heute noch frischen, grünen Türk? Himmlisch war der, damals! Erdogan würde besser auch zwischendurch einmal davon probieren, falls es diesen <Stoff> noch gibt. Schwarzen Afghan, der uns damals durch Thuns Strassen schweben liess, roter Libanese, grüner Maroc und all die anderen guten Sachen, die es eben auch noch gab.” So war denn das Mokka während meiner Jugendzeit nicht nur bekannt als einziges Konzertlokal ohne Marschmusik, „Hudigäggeler” und deutsche Schlager. Sondern es war auch berüchtigt als Kiffer-Lokal mit einem besonderen Angebot in der Sylvesterwoche. Ein Hauch Amsterdam, wenn auch nur für wenige Tage. Harte Drogen tolerierte MC Pädu Anliker nicht. Dealer verjagte er eigenhändig. Und mit Absturzgefährdeten unterhielt er sich respektvoll stundenlang über ihre Probleme. Pädu, der Jugendarbeiter, der Einfühlsame, der sein Mokka zu seinem Planeten machte, 16 Stunden am Tag, manchmal 7 Tage in der Woche. Als hätten MC Pädu Anlikers Tage 40 Stunden und die Wochen 10 Tage, organisierte er Kultur nicht nur in seinem Stammlokal an der All-Mensch-Strasse, seiner liebevollen Abwandlung der Allmendstrasse. MC Pädu Anliker organisierte auch in der alten Mühle Kultur (heute Mühleplatz), im alten Kühlhaus (heute „Haus am Bahnhof”), im ehemaligen Kino Scala an der Frutigenstrasse, im alten Hoffmann-Gebäude, wo heute das hässliche KERSCH-Gebäude steht (Coop Pronto, Post, etc.), natürlich auf dem Waisenhausplatz, im Bärensaal und am Schluss auf dem Mühleplatz. Vermutlich ist diese Aufzählung nicht vollständig. Es gibt vieles zu erforschen über MC Pädu Anlikers Wirken. MC Pädu Anlikers Leben kann nicht auf zwei A4-Seiten gebührend gewürdigt werden. Vermutlich bietet auch ein Buch zu wenig Platz. Zum Beispiel für seinen politischen Kampf in jungen Jahren, als er an der 1.-Mai-Feier auf dem Rathausplatz während der Rede eines SP-Bundesrats ein selbst gebasteltes AKW in die Luft sprengte, anschliessend von den Genossen mit Regenschirmen attackiert und von der Bundespolizei als Terrorist abgeführt wurde. Oder für seine Kolumnen im „Thuner Tagblatt”. Für seine Vorwörter. Seine Konzerte. Freunde. Frauen. Den Sohn. MC Pädu Anliker gebührt ein Denkmal. Nein, keine Plastik vor dem Mokka. Ich höre ihn höhnisch lachen über solch eine Idee: „Typisch Politiker, fuck!” Einen Anlikerweg gibt es bereits in Hünibach. Und überhaupt: Wer kennt schon die Bedeutung einer C.F.L.-Lohner-Strasse, eines Rougemontweges oder eines Bonstettenparks? Ein MC-Anliker-Platz? „Huere Verchehr, aber nid über mini Lieche!” MC Pädu Anlikers Wirken kann man nur gerecht werden mit seiner Leidenschaft, der Kultur. Ein jährlich zu vergebender MC Anliker Award könnte zu Pädus Denkmal werden. Ein Preis an talentierte junge Musikerinnen und Musiker aus der Region Thun. Die Jury bestehend aus Weggefährtinnen und Weggefährten von MC Pädu Anliker. Er wird ihnen einflüstern von dort, wo er jetzt ist. Und sie anschnauzen, bevor sie sich falsch entscheiden. MC Pädu Anliker, du wirst mir fehlen. Du bist vorausgegangen. Wenn ich dir dereinst nachfolge, erwarte ich ein top Kultur-Angebot, Boxer-Bier und roten Libanesen. Versprochen? Für die SP Thun Franz Schori, Stadtrat

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